Nachhaltigkeit – eine Chance für die Leasing-Branche Gastbeitrag von Marijan Nemet, Partner Deloitte

Leasing-Wirtschaft für Anforderungen der Aufsicht gerüstet – wenn Proportionalitätsprinzip Rechnung getragen wird

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Erwartungen an den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken bei Banken mit der Veröffentlichung ihres Leitfadens zu Klima- und Umweltrisiken am 20. Mai 2020 sehr einprägsam zusammengefasst. Der Leitfaden, der bis zum 25. September 2020 zur Konsultation vorliegt, enthält konkrete Anhaltspunkte, wie Nachhaltigkeitsrisiken zukünftig in der Geschäftsstrategie, der Governance und vor allem im Riskmanagement zu berücksichtigen sind.

Nachhaltigkeit wird zum zentralen Fixpunkt der Aufsicht

Marijan Nemet

Auch wenn sich der Leitfaden vorrangig an bedeutende Institute richtet, so stellt die EZB klar, dass dieses Dokument gemeinsam mit den nationalen Aufsichtsbehörden entwickelt wurde und Ausstrahlungswirkung auch auf weniger bedeutende Institute und den Umgang der nationalen Aufsichtsbehörden mit diesem Zukunftsthema haben soll. Nachhaltigkeit wird zu einem zentralen Fixpunkt im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Dialogs. Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass bereits bestehende Veröffentlichungen zu Klima- und Umweltrisiken, herausgegeben von den nationalen Aufsichtsbehörden, für diese Institute eine wichtige Orientierungshilfe und zu beachten sind. Das heißt, die Institute sollten überprüfen, ob ihre derzeitigen Ansätze zur Identifizierung und Steuerung von Klima- und Umweltrisiken angemessen sind und den Erwartungen der Aufsicht entsprechen. Damit wird automatisch der Blick auf das von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am 20. Dezember 2019 veröffentlichte Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken gelenkt, in dem sich viele der Punkte der EZB wiederfinden.

Treiber wirtschaftlicher Entscheidungen

Sowohl das BaFin-Merkblatt als auch der Leitfaden der EZB sind Meilensteine einer Entwicklung, die in der öffentlichen Debatte schon seit Langem einen hohen Stellenwert besitzt. Trotz einer manchmal leidenschaftlich geführten Diskussion besteht politisch-gesellschaftlich Konsens darüber, welche enorme Bedeutung Nachhaltigkeitsrisiken für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft haben. Daher ist es nur folgerichtig, dass auch die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, in ihrer Stellungnahme zur Corona-Krise erklärt hat, dass staatliche Maßnahmen, die nach Abklingen der Pandemie die wirtschaftlichen Tätigkeiten anstoßen sollen, sich auch an Kriterien der Nachhaltigkeit ausrichten und diese mit einer hohen Priorität vorantreiben müssen. Nachhaltigkeit bleibt damit sowohl in der aktuellen Corona-Pandemie, die gravierende und nicht abschließend einzuschätzende Auswirkungen auf alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche hat, als auch für die Zukunft ein immer wichtigerer Treiber wirtschaftlicher Entscheidungen, nicht nur aufgrund aufsichtsrechtlicher Vorgaben, sondern verstärkt auch aufgrund von Kundeninteressen.

Chance zur aktiven Gestaltung

Dies bestätigen auch die Ergebnisse der Marktstudie „Leasing in Deutschland 2020“ im Auftrag des BDL. Danach hat bereits jedes zweite leasingaffine Unternehmen, das sich an der Studie beteiligt hat, „grüne“ Investitionen realisiert oder plant, diese umzusetzen – und zwar vorrangig über Leasing-Finanzierungen. Damit sollte neben dem politisch-gesellschaftlichen Konsens auch eine wirtschaftliche Basis für entsprechende Maßnahmen der Leasing-Branche gelegt sein, um die entsprechenden Vorgaben der BaFin zukunftsgerichtet in Angriff zu nehmen. Nachhaltigkeit sollte daher vor diesem Hintergrund auch als Chance zur aktiven Gestaltung einer aktuell besonders unsicheren Zukunft gesehen werden.

Häufig wird vernachlässigt, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ deutlich über die reine Klima- und Umweltdiskussion hinausgeht.

Marijan Nemet, Partner/Wirtschaftsprüfer bei Deloitte

Nachhaltigkeitsrisiken als Bestandteil des Risikomanagements

Die BaFin will mit ihrem Merkblatt der Finanzindustrie eine Orientierung im Sinne von Good-Practice-Ansätzen im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken geben. Sie fasst darunter alle Ereignisse oder Bedingungen aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environment, Social, Governance; ESG1) zusammen, deren Eintreten, tatsächlich oder potenziell, erhebliche negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie auf die Reputation eines Unternehmens haben können. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf klimabezogene Risiken in Form von physischen Risiken und Transitionsrisiken (Übergangsrisiken) gelegt.

Physische- und Transitionsrisiken

Physische Risiken entstehen aus klima- und wetterbedingten Ereignissen wie Dürren, Überschwemmungen und Stürme sowie dem Anstieg des Meeresspiegels. Sie umfassen direkte Auswirkungen (z. B. Sachschäden) und (indirekte) Folgewirkungen (z. B. die Unterbrechung der globalen Lieferketten). Transitionsrisiken ergeben sich aus politisch motivierten Veränderungen wie der Verteuerung fossiler Brennstoffe oder Umweltabgaben. Sie resultieren aber auch aus verändertem Kundenverhalten und technologischem Fortschritt. In diesem Kontext ist derzeit schwer abschätzbar, inwieweit die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Erfahrungen u. U. eine beschleunigende Wirkung auf die Entwicklungen haben werden. Es ist zu erwarten, dass es infolge dieser Krise auch zu längerfristigen Veränderungen des Freizeit- und Konsumverhaltens (Stichwort: Reisetätigkeit, Gastronomie), aber auch in den Arbeitsprozessen (Stichwort: Homeoffice, Digitalisierungsoffensive etc.) kommen wird. Diese können zusammen mit einem veränderten Umweltbewusstsein auch Anpassungen der Geschäftsmodelle für Leasing-Unternehmen bewirken, zumindest hinsichtlich ihres Objektmix, aber auch der Vertriebs- und Verwertungswege.

Auswirkung auf Bonität oder Geschäftsmodell

Ihrer zentralen Zielsetzung – der Sicherstellung eines funktionsfähigen Finanzmarktes – folgend, stellt die BaFin in ihrem Merkblatt klar: Nachhaltigkeitsrisiken sind dem Grunde nach keine neue, gesonderte Risikoart, sondern bei allen finanzwirtschaftlichen Transaktionen und damit implizit auch im Rahmen der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) zu berücksichtigen. Im Ergebnis können Nachhaltigkeitsrisiken bei Kunden erhebliche Auswirkungen auf deren Bonität haben, im Extremfall deren Geschäftsmodell massiv beeinflussen. Die Folge wäre eine Erhöhung der Ausfallrisiken, sei es in Form einer höheren Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) und/oder Verlustquote (LGD). Die Folgewirkungen für die Institute können gravierend sein, wenn sie diese potenziellen Risiken bei ihren Kunden nicht rechtzeitig identifizieren und steuern. Insofern erwartet die BaFin eine aktive, risikoorientierte Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsrisiken im Rahmen des Risikomanagementkreislaufs. Sie spiegeln sich damit, wie die nachfolgende Abbildung verdeutlicht, in vielen Teilaspekten der MaRisk wider.

BaFin – Merkblatt und MaRisk – Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in den MaRisk @ Deloitte 2019

Geschäfts- und Risikostrategie

Im Rahmen der Analyse des Geschäftsumfelds und der laufenden Überprüfung der Geschäfts- und Risikostrategie wird es für Leasing-Unternehmen darauf ankommen zu untersuchen, inwieweit ihre Geschäftsfelder, ihre Kunden, deren Branchen und Regionen von physischen und Transitionsrisiken besonders betroffen sind.

Es wird zu prüfen sein:

  • ob in den jeweiligen Portfolien potenzielle Nachhaltigkeitsrisiken sowie damit verbundene Konzentrationsrisiken in Verbindung mit problematischen („braunen“) Objektklassen schlummern,
  • ob daher u. U. Strategieanpassungen erforderlich sind und
  • welche Maßnahmen sich zu deren Umsetzung eignen. Neben einer Adjustierung der jeweiligen Limite sind eine gezielte Anreizsteuerung des Vertriebs über das Vergütungssystem und ein differenziertes Pricing denkbar.

Bewährte Praxis bei Leasing-Unternehmen

Derartige Überlegungen sind für Leasing-Unternehmen nicht neu. Aufgrund ihrer besonderen Objektperspektive haben sie in der Regel bereits seit jeher, neben der Bonität ihrer Kunden, die Werthaltigkeit und damit auch die Verwertungsmöglichkeiten der finanzierten Objekte im Blick. Die Verwertung stellt neben der Finanzierungskomponente regelmäßig eine wesentliche Ertragsquelle dar. Leasing-Unternehmen nutzen vielfältige Verwertungswege, um ihre gesamte Wertschöpfungskette auszuschöpfen. Sie müssen diese zukünftig verstärkt hinsichtlich möglicher Nachhaltigkeitsrisiken würdigen, um operationelle und Reputationsrisiken zu vermeiden.

Auch die Beurteilung der Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle und die jeweilige Objektauswahl ihrer Kunden war schon immer im Fokus der Leasing-Branche. Denn die Übernahme von Objektrisiken bzw. deren Steuerung über Restwertgarantien und Rückkaufvereinbarungen gehört zu ihrer Kernkompetenz. Insoweit stellt eine solche Analyse und ggf. Anpassung ihrer Geschäfts- und Risikostrategie die Branche vor keine grundlegend neue Herausforderung.

Gleichwohl ist die damit verbundene Komplexität nicht zu unterschätzen. Gerade technische Entwicklungen erfolgen häufig nicht kontinuierlich, sondern oft disruptiv. Vermeintlich ökologisch nachhaltige Trends können in kürzester Zeit überholt sein. Daher ist es erforderlich, derartige Prozesse kontinuierlich zu verfolgen und in den jeweiligen Geschäfts- und Risikostrategieprozess einzubeziehen. Darauf sind Leasing-Unternehmen aufgrund ihrer Objektexpertise vorbereitet. Sie sind häufig erster Ansprechpartner ihrer Kunden, wenn es darum geht, deren Maschinen- und/oder Fuhrpark zu erneuern, um ihn auf dem neuesten technischen Stand zu halten. Damit hat die Leasing-Branche die Chance, ihre Kunden unmittelbar beim ökologischen Umbau aktiv zu begleiten.

Riskmanagement und Objektexpertise im Fokus

Um eine derart übergreifende Steuerung zu gewährleisten, müssen im Rahmen der jährlichen Risikoinventur über alle Risikoarten hinweg potenzielle Nachhaltigkeitsrisiken in Verbindung mit den verschiedenen Kunden-, Branchen- und Objektgruppen identifiziert und die entsprechenden Steuerungsmaßnahmen in das schriftliche Rahmenwerk des Leasing-Unternehmens integriert werden. Zumeist bestehen hierzu Regelprozesse, so dass ein potenzieller Mehraufwand, der sich aus der erstmaligen Erfassung von Nachhaltigkeitsrisiken ergibt, überschaubar bleiben sollte und eine laufende Weiterentwicklung des Rahmenwerks sichergestellt wird. In diesen Prozess sollten die besonderen Funktionen, das Risikocontrolling, die Compliance-Funktion und die Interne Revision entsprechend ihrer Aufgaben im Rahmen des „Three-Lines-of-Defense-Modelles“ eingebunden werden. Dies schafft zugleich die Grundlage für ein einheitliches Verständnis der von der Unternehmensleitung und den Aufsichtsgremien im Kontext der Nachhaltigkeitsrisiken gelebten Risikokultur. Ein Aspekt, der auch für die Außenwahrnehmung immer wichtiger wird.

Bonitätsrisiken verstärkt analysieren

Inwieweit ergänzende Maßnahmen tatsächlich erforderlich sind, wie umfangreich diese sind, hängt entscheidend vom Geschäftsmodell und der aktuellen Ausgestaltung des jeweiligen Risikomanagementsystems ab. So wird der Kreditvergabe- und -überwachungsprozess im Hinblick auf die Bonität der einzelnen Kunden noch stärker zukunftsgerichtet analysiert werden müssen. Das heißt, es sollten zum Beispiel Szenario-Rechnungen angestoßen werden, um die Anfälligkeit des jeweiligen Kunden, aber auch des gesamten Portfolios, für Nachhaltigkeitsrisiken zu untersuchen.

Eine derart zukunftsgerichtete Analyse der Bonitätsrisiken dürfte vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Krise und der dynamischen Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kunden ohnehin verstärkt notwendig sein. Daneben sollte überprüft werden, inwieweit sich das bestehende Kundenklassifizierungsverfahren um eine Nachhaltigkeitskomponente erweitern lässt, um neben der Objektart und deren Werthaltigkeit auch die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells des Kunden unter Klima- und Umweltaspekten stärker berücksichtigen zu können. Dies kann Auswirkungen auf die jeweilige Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) und/oder Verlustquote (LGD) der betreffenden Kunden sowie mittelbar auf die gesamte Risikotragfähigkeitsrechnung und damit das Geschäftsvolumen der betroffenen Leasing-Unternehmen haben.

Gestaltung der Zukunftsfähigkeit

Spätestens hier schließt sich der Risikomanagementkreislauf: Denn derartige Überlegungen, die durch eine adäquate Risikoberichterstattung flankiert werden müssen, sind wichtige Bausteine einer zukunftsgerichteten Geschäfts- und Risikostrategie. Um nichts weniger, als die Gestaltung der Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle in einem, nicht nur aufgrund der Nachhaltigkeitsrisiken immer dynamischeren Umfeld, geht es auch für die Leasing-Branche.

Fazit

Muss sich die Leasing-Branche vor diesen Entwicklungen, vor den erhöhten Anforderungen Sorgen machen? Ich meine: Nein. Die Leasing-Branche ist aufgrund ihres Geschäftsmodells, ihrer ausgeprägten Objektexpertise und der bereits gelebten Prozesse zur Identifizierung und Steuerung von Bonitäts- vor allem aber auch Objektrisiken, in der Lage, auf die neuen aufsichtsrechtlichen, ökonomischen und ökologischen Anforderungen zu reagieren und diese in Teilen mitzugestalten.

Diesen Prozess gilt es weiterzuentwickeln, zu beschleunigen und stetig zu verbessern. Zum einen, um die Corona-Krise zu bewältigen, zum anderen aber auch um Nachhaltigkeitsrisiken effektiv, effizient und vor allem zukunftsgerichtet zu steuern.

Das geht aber nur, wenn bei der Gestaltung und Umsetzung der Anforderungen dem Proportionalitätsgedanken im Sinne der MaRisk angemessen Rechnung getragen wird und Maßnahmen stets im Hinblick auf ihre Effektivität, nicht ihre formalen Anforderungen gestaltet und gewürdigt werden. Dazu bieten die Merkblätter der BaFin und der EZB die Möglichkeit.

Marijan Nemet ist Partner/Wirtschaftsprüfer bei Deloitte und verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Prüfung und prüfungsnahen Beratung in der Finanzbranche, insbesondere von Leasing- und Factoring-Unternehmen. Er ist Mitglied verschiedener leasingspezifischer Fachgremien, des Deutschen Instituts der Internen Revision e.V. (DIIR) sowie Verfasser zahlreicher bank- und leasingspezifischer Fachpublikationen und als Lehrbeauftragter aktiv.

1 Die Abkürzung „ESG“ beschreibt die drei übergreifenden Dimensionen der von den Vereinten Nationen definierten Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, den sogenannten Sustainable Development Goals - SDGs. Die SDGs umfassen 17 voneinander abhängige Ziele, die den vorgenannten drei übergreifenden Dimensionen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance) zugeordnet werden können.