Gastkommentar von Markus Ferber, Mitglied des Europäischen Parlaments

Regulierung mit Entschlossenheit und Augenmaß

Die finanzpolitische Agenda der Europäischen Union wurde durch die Ausbreitung des Corona-Virus mit allen seinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen gehörig durcheinandergebracht. Die wichtigste politische Aufgabe bestand darin, die Ausbreitung des Virus zu stoppen und die wirtschaftlichen Folgen so gut es geht abzumildern. Gerade viele kleinere und mittlere Unternehmen waren durch das Corona-Virus vor erhebliche Herausforderungen gestellt, denn sie hatten nicht die notwendigen Reserven, um eine monatelange unverschuldete Auftragsflaute einfach auszusitzen. Entsprechend war hier beherztes staatliches Eingreifen vonnöten. Sowohl die Bundesregierung, diverse Landesregierungen als auch europäische Institutionen waren bereit, schnell und unbürokratische Unterstützung zu gewähren. Auch im Bereich der Bankenaufsicht hatten die zuständigen Bankenaufseher richtigerweise schnell angekündigt, maximale Flexibilität walten zu lassen, um eine Liquiditätsklemme zu vermeiden.

Auch der Leasing-Sektor ist in dieser Situation betroffen. Schließlich sind in Deutschland Leasing-Güter im Wert eines dreistelligen Milliardenbetrags im Einsatz und für diese Güter werden jeden Monat Ratenzahlungen fällig, die in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation, wie wir sie seit März erleben, viele Unternehmen vor große Herausforderungen stellt. Insofern müssen hier pragmatische Lösungen für den wichtigen Finanzierungskanal Leasing gefunden werden, damit auch Leasing-Dienstleister vom staatlichen Notfallgarantiefonds profitieren können.

Neben dem unmittelbaren Krisenmanagement rund um das Corona-Virus stehen in dieser Legislaturperiode aber auch noch andere Themen im Fokus der Finanzmarktregulierung.

Eines der Ziele der Überarbeitung war es, insbesondere die kleinen regional-orientierten Finanzinstitute, die oftmals ein breites Mittelstandsportfolio haben, zu entlasten, damit diese sich wieder verstärkt ihrem Kerngeschäft, der Mittelstandsfinanzierung, widmen können.

Markus Ferber zur jüngsten Überarbeitung der Richtlinie und Verordnung über Eigenkapitalanforderungen

In der vergangenen Legislaturperiode ist im Bereich der europäischen Bankenregulierung bereits viel geschehen. Wir haben internationale Standards zur Stärkung der Eigenkapitalunterlegung und zur Abwickelbarkeit von Banken umgesetzt und wichtige Schritte hin zu einer verhältnismäßigeren europäischen Bankenaufsicht gemacht. Insbesondere die jüngste Überarbeitung der Richtlinie und Verordnung über Eigenkapitalanforderungen ist als Meilenstein zu bewerten, da erstmals klar definiert wird, was ein kleines und nicht-komplexes Finanzinstitut ausmacht und welche regulatorischen Erleichterungen mit diesem Status einhergehen. Eines der Ziele der Überarbeitung war es, insbesondere die kleinen regional-orientierten Finanzinstitute, die oftmals ein breites Mittelstandsportfolio haben, zu entlasten, damit diese sich wieder verstärkt ihrem Kerngeschäft, der Mittelstandsfinanzierung, widmen können. Ein weiterer Baustein dieser Strategie bestand darin, die Mittelstandsfinanzierung über eine kräftige Anhebung des sogenannten KMU-Unterstützungsfaktors von 1,5 Millionen Euro auf 2,5 Millionen Euro zu stärken.

Finalisierung von Basel III - Passgenaue Umsetzung notwendig

Auch in dieser Legislaturperiode kommt mit der Finalisierung von Basel III erneut ein Paket zur Umsetzung internationaler Standards auf den europäischen Gesetzgeber zu. Das Verhandlungsergebnis aus dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht gibt aus europäischer Sicht wenig Grund zur Freude. Erste Folgenabschätzungen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde weisen im Falle einer Eins-zu-eins-Umsetzung auf erhebliche Steigerungen der Eigenkapitalanforderungen für europäische Banken hin, die mit Sicherheit auch auf die Finanzierungsmöglichkeiten der Realwirtschaft durchschlagen würden. Es drängt sich insbesondere der Eindruck auf, dass die im Baseler Ausschuss festgeschriebenen Regeln ausgesprochen gut zu den Spezifika des US-amerikanischen Bankensektors und zum US-amerikanischen Modell der Immobilienfinanzierung passen, nicht aber so sehr zum europäischen Modell. Dieses Verhandlungsergebnis wirft einerseits die grundsätzliche Frage auf, wie die Koordinierung der europäischen Verhandlungsführer in Zukunft dergestalt verbessert werden kann, dass sich europäische Interessen am Ende auch in den Verhandlungsergebnissen internationaler Gremien wie dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht wiederfinden.

Europäische Besonderheiten erfassen, Auswirkungen auf Realwirtschaft vermeiden

Andererseits stellt sich die unmittelbare Frage, wie das Paket zur Finalisierung von Basel III passgenau und mit Blick auf die Spezifika des europäischen Bankensektors umgesetzt werden kann. Dabei gilt es, einen Spagat zu schaffen: Auf der einen Seite muss die Umsetzung in den wesentlichen Grundzügen das internationale Verhandlungsergebnis widerspiegeln, also „Basel-compliant“ sein. Auf der anderen Seite sollte die Umsetzung die Besonderheiten des europäischen Finanzierungsmodells erfassen und negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft weitgehend vermeiden.

Insbesondere was das Thema Mittelstandsfinanzierung angeht, brauchen wir pragmatische Lösungen, die die Finanzierung mittelständischer Unternehmen nicht unnötig erschweren. Gerade vor dem Hintergrund der Herausforderungen von Digitalisierung und dem Wandel hin zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft ist die Innovationskraft des Mittelstandes unabdingbar. Um diese Innovationskraft freizusetzen, braucht es Zugang zu Finanzierung. Dabei gilt es, neben der klassischen Kreditfinanzierung über Banken auch die Besonderheiten alternativer Finanzierungsmodelle wie des Leasing zu berücksichtigen, die für viele mittelständische Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnen und die ein spezifisches, niedriges Risikoprofil aufweisen, das sich bisher nur unzureichend in der Bankenregulierung wiederspiegelt. Die Umsetzung des Basel-III-Finanzierungspakets darf dieses flexible Finanzierungsmodell am Ende nicht unnötig belasten.

Nachhaltige Finanzierung: Auf marktkonforme Anreize und Verhältnismäßigkeit setzen

Ein weiterer Aspekt, der in der neuen Legislaturperiode auch im Bereich der Finanzmarktregulierung an Bedeutung gewinnen wird, ist das Thema der nachhaltigen Finanzierung. Wenn die ausgesprochen ambitionierten nationalen, europäischen und internationalen Klimaverpflichtungen erfüllt werden sollen und der Wandel hin zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft gelingen soll, müssen alle Wirtschaftsbereiche dazu beitragen. Es gibt am Markt sowohl bei Privatinvestoren als auch bei institutionellen Anlegern eine steigende Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten und nach verlässlichen Informationen über ebensolche Finanzprodukte. Diese Nachfrage kann genutzt werden, um die bestehenden Investitionslücken bei der Umsetzung der Klima- und Energieziele zu schließen.

Aus Sicht des Gesetzgebers muss es entsprechend insbesondere darum gehen, die richtigen, marktkonformen Anreize zu setzen, um Investitionen in Projekte zu lenken, die gleichzeitig wirtschaftlich und nachhaltig sind und zur Transformation hin zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft beitragen, ohne jedoch Fehlanreize zu setzen, die in Blasenbildung münden und zu Klumpenrisiken beitragen könnten. Für die Annahme, dass nachhaltige Investitionen per se weniger riskant sind als andere Arten von Investitionen, gibt es keinerlei empirische Evidenz. Ideen wie eine regulatorische Vorzugsbehandlung grüner Investitionen bei der Eigenkapitalunterlegung sind entsprechend grundsätzlich abzulehnen, denn sie stellen das risikoorientierte Aufsichtsregime in Frage und würden am Ende nur den Weg in die nächste Krise bereiten. Ähnliches gilt für Überlegungen, nachhaltige Investitionen aus dem Haushaltsdefizit der Mitgliedstaaten herauszurechnen.

Leasing kann im Bereich Kreislaufwirtschaft wichtige Rolle spielen

Stattdessen muss es beim Thema nachhaltige Finanzierung darum gehen, privaten und institutionellen Investoren die richtigen Informationen an die Hand zu geben, um qualifizierte Investitionsentscheidungen zu treffen. Eine Taxonomie, die anhand sachlicher Kriterien nachvollziehbar definiert, was ein nachhaltiges Investment ist, ist deshalb grundsätzliche die richtige Überlegung. Derzeit ist die Taxonomie aber noch nicht viel mehr als eine leere Hülle, die mittels Umsetzungsrechtsakten erst noch mit Leben gefüllt werden muss. Zwar ist ein gewisses Level an Granularität unabdingbar, um unterschiedlichen Geschäftsmodellen und Finanzierungswegen gerecht zu werden – wie etwa dem Leasing, das gerade im Bereich Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle spielen kann. Nichtsdestoweniger muss aufgepasst werden, dass die Detailregelungen nicht in einem Bürokratiemonster münden. Man sollte auch davon absehen, bestimmte Industriezweige grundsätzlich als „nicht nachhaltig" zu klassifizieren, denn es sind genau diese Industriezweige mit einer bislang schlechten Ökobilanz, die am Ende das höchste Einsparpotenzial mit sich bringen.

Verhältnismäßigkeit als Leitmotiv

Das verbindende Element bei den Themen nachhaltige Finanzen und der Umsetzung internationaler Eigenkapitalstandards ist, dass wir in beiden Fällen Regulierung mit Augenmaß benötigen, die Marktspezifika ausreichend berücksichtigt und verhältnismäßig ist. Nur so können wir sicherstellen, dass wir die Innovationskraft des Mittelstandes, die für die Herausforderungen von Digitalisierung und Green Deal so dringend gebraucht wird, nicht unnötig einschränken. Verhältnismäßigkeit sollte daher das Leitmotiv der europäischen Finanzmarktregulierung im Jahr 2020 sein.

Markus Ferber MdEP, ist Koordinator der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments. Der CSU-Politiker ist seit 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments und seit 2013 Sprecher des Parlamentskreises Mittelstand im Europäischen Parlament. Ferber, 1965 in Augsburg geboren, ist Ingenieur der Elektrotechnik.